1. Der Jahrmarkt
Es ist nie leicht, über das aktuelle Zeitalter zu schreiben. Es fehlt die Distanz; die Analysen, Diagnosen und Therapien sammeln sich, ohne Unterschied ihrer Qualität, wie auf einem Jahrmarkt, in dem der zusammenhangloseste Ramsch feilgeboten wird von den zugehörigen Schreiern….also schließe ich mich nun an, eröffne mein eigenes Marktstandl und schreie, irgendwo zwischen Kapitalismus-Ringelspiel und Tolerantismus-Geisterbahn, mit!
Vielleicht findet sich unter dem Ramsch auch etwas mit antiquarischem Potential.
Ich habe mich also gefragt, was den extremen Glaubensabfall der Gesellschaft bewirkt. Die „Vernunft“ und die „Wissenschaft“, die oft als Begründung dafür angegeben wird, kann es nicht sein.
Denn zum einen sehen wir, dass die „Vernunft“ unserer Gesellschaft nicht gerade im Wachsen begriffen ist, (dazu später), zum anderen sind es gerade militante Atheisten, die meistens eben nicht vernünftig, sondern emotional argumentieren. Dass die „Wissenschaft“ die Falsifikation Gottes durchgeführt hätte, wird zumeist von solchen, deren offensichtlich dürftige naturwissenschaftliche Kenntnisse durch szientistischen Pathos ersetzt werden, argumentiert. Siehe „derstandard „- Forum.
Es lohnt sich nicht, darauf näher einzugehen. Die „Vernunft“ ist in dieser Argumentation nur ein Teil einer psychologischen Hilfskonstruktion.
Viel interessanter ist die Frage, was diese Hilfskonstruktion verstecken oder verdrängen soll.
Meistens wohl nur ein totales Desinteresse an metaphysischen Dingen, eine im mainstream mitschwimmende Geistesträgheit, für die man sich dann doch geniert, weshalb die „Vernunft“, die „Aufklärung“ etc vorgeschoben wird.
Es gibt wohl aber noch einen anderen Grund: und das ist die Freiheit!
2. Freiheit
Viele Menschen haben Angst, durch den Glauben die Freiheit zu verlieren, und die europäische Geschichte scheint ihnen durch viele Beispiele recht zu geben: Inquisition etc.
Der Begriff der „Freiheit“ ist natürlich ein Zentralbegriff des Zeitalters der Abklärung.
Und interessant, wie die Freiheit (ohne Anführungszeichen) ausgehöhlt wird. Viele Menschen können mit der Freiheit nichts anfangen. Das Zeitalter der Abklärung führt diesen Begriff denn auch nicht unter seiner eigenen Bedeutung, sondern als Tradition, gewissermaßen als Reflex.
Ein Beispiel: Als ich vor einigen Jahren ein paar Gedanken über die Tugenden des „Gehorsam“ niedergeschrieben habe, hat sich @Muriel von diesem Blog verabschiedet. Ziemlich beleidigt, wie mir schien. Oder gar wütend?
Kein Wunder: Gehorsam gilt heute als Antagonist einer (pathetisch verstandenen) Freiheit. Da nun aber die Freiheit der Abklärung ein Reflex ist, muss man sich auch reflexartig von allem, was scheinbar nicht „Freiheit“ ist, trennen. Man muss es ausspucken, aushusten, ausniesen.
Dass ich in diesen meinen Gedanken über den Gehorsam auch ausgeführt habe, dass gerade diese Tugend ein Höchstmaß an Reife und Freiheit benötigt, spielt da keine Rolle. Reflexe haben eben nur eine sehr kurze Aufmerkssamkeitsspanne. Alles, was über einen Halbsatz geht, kann leider nicht mehr perzepiert werden….
Kein Wunder also, dass das Zeitalter der Abklärung zu Husten und Niesen beginnt, wenn es Begriffe wie „Glaube“ und „Religion“ hört. Aber das hat nichts mit Vernunft zu tun, auch nichts mit Aufklärung, sondern nur mit Schluckbeschwerden, wie sie Dinge auslösen, die nicht der atheistischen Tradition entsprechen.
Tradition ist schließlich auch eine Art Schleim, die das Schlucken erleichtert….
….und diese Tradition gibt heute Anti-Religiosität als Kodex an. Dass ein fundierter Glaube die Freiheit mitnichten einschränkt, sondern fördert, ist ein Gedanke, der sich ganz einfach nicht gehört.
…womit sich nun die Frage stellt, wie diese „Freiheits“-Tradition entstanden ist, und wie die Aushöhlung der tatsächlichen Freiheit vonstatten geht, wobei wir letzteres natürlich im Ansatz schon sagen können: Da der Mensch mit Freiheit meistens nichts anfangen kann, MUSS er sie ja abschaffen, und zwar so, dass nichts an der Tradition rüttelt.
3. Forensik
Nach der Nazi-Tyrannei, in der „man zu allem gezwungen wurde, was nicht verboten war„, ein Satz, der freilich auf alle Diktaturen zutrifft, wurde es wieder freier. Trotzdem waren die 50er und 60er Jahre noch sehr spiessig. Wien – eine Stadt der Kriegs- und Hofratswitwen, grau in grau. Die Freiheit war allein schon durch den Materialismus dieser Zeit stark eingeschränkt: Kapitalismus oder Kommunismus – sonst gab es nichts. Dazwischen ein eiserner Vorhang.
Dass diese beiden Ideologien, und die sich in ihrem Schlepptau befindlichen Liberalismus und Nationalismus, die Kehrseite ein- und derselben materialistischen Medaille sind, scheint bis heute kaum jemand zu verstehen. „Linksliberal“ und „Rechtsnational“ unterscheiden sich nur durch ihre Schattierung.
Unzweifelhaft kommt den 68ern der Verdienst zu, Europa und die USA aus dem Nachkriegs-Mief gerissen zu haben. Hier wurde tatsächlich etwas geschaffen, das als Basis einer neuen, hoch verstandenen Freiheit hätte dienen können. Es ist kein Zufall, dass auch das 2. Vatikanum in diese Zeit fällt (wenngleich wir freilich einen Kausalzusammenhang zwischen diesem und der Berliner Kommune 1 vergeblich suchen werden.)
Es gab philosophische, esoterische, soziale, spirituelle, drogentechnische und erkenntnistheoretische Ansätze, und kluge Köpfe, die diesen Spannungsraum zu harmonisieren versuchten, wie Adorno mit seiner „negativen Dialektik“, Horkheimer, und ein junger brillanter Theologe namens Josef Ratzinger. Jawohl, genau der.
Der Materialismus musste aber die 68er veröden lassen: Die sublime, zwischen den Zeilen geschriebene Mystik Adornos wurde vom eigenen Materialismus zerquetscht. Dem durchschnittlichen Studenten musste Adorno sowieso zu hoch sein, also las er das heraus, was er zu verstehen glaubte: Eine plakative Anbetung Mao Tse Tungs, Che Guevaras und anderer Mörder, während Adorno selbst vom Podium gemobbt wurde.
Auch die zarten esoterischen, spirituellen und theologischen Ansätze hatten gegen das heisere und immer lautere Geschrei keine Chance, sodass sich erstere in die vier Wände zurückzogen (es warteten gute Jobs), letztere aber, unter sich immer stärker radikalisierendem Gebrüll, sich zur RAF entwickelten: eine linke Version des Nationalsozialismus: „Alle Bullen sind Schweine.“ Wenn man das Wort Bulle durch das Wort Jude ersetzt, wird die Parallele klar.
Aus der „negativen Dialektik“ Adornos wurde die primitive Dialektik der RAF und ihrer Sympathisanten. Andreas Baader hätte Europa wieder zur Diktatur gemacht, mit Claus Peymann als Propagandaminister.
Trotzdem lässt sich sagen, dass der -freilich zerbröselte- Spannungsraum zwischen Baader und Benedikt XVI starke Spuren einer zumindest institutionellen Freiheit hinterlassen hat. Das haben wir der breiten Mitte jener zu verdanken, die bei den 68ern mitgenascht haben, ohne sich allzusehr fixieren zu wollen: Also jenen, die dann fertig studiert und die guten Jobs bekommen haben. Diese wollten sich die Freiheit nicht nehmen lassen und haben sie mit einem gutbürgerlichen Dasein harmonisiert.
Den Kindern der 68er wurde Freiheit als höchstes Gut beigebracht, und das Geld als das, das die Freiheit erst lebenswert macht: Urlaub! Flugzeug! Thailand! Porsche! Wir sind also bei den Juppies und Geldscheissern der 80er und 90er, gemischt mit den langsam grau werdenden 68ern, ein Biotop, das also die Freiheit liebte, aber leider nicht mehr wusste, wozu sie gut war. Es begann die geistige Vorherrschaft der Köche und der Restaurantführer. Denn beim noblen Essen finden Alt-Kommunisten und Jung-Kapitalisten zusammen, und kommen, zwischen Osietra-Kaviar und Blutorangenparfait, und nach 8 Weinen zum Schluss, dass man einander ohnehin ähnlich ist. Was man, siehe oben, durchaus unterschreiben kann.
4. Das Wabern im Hintergrund
Wozu aber ist die Freiheit gut? Diese Frage waberte im Hintergrund, und sie wabert noch immer. Und sie ist bedrohlich geworden. Denn kaum etwas ist schrecklicher als die Erkenntnis, dass man mit der absoluten Freiheit nichts anfangen kann.
Egon Friedell sagt: „Man gebe einem Postmann, einem Turnlehrer oder einem Verkäufer die freie Verfügung über seine Zeit: Er wird entweder trübsinnig werden oder zu einem Schurken.“
Die Freiheit wirklich auskosten, kann nur ein Teil der Menschen: Die Philosophen und Philosophischen, die Geistigen und Geistlichen, die Künstler. Letztere aber auch nur dann, wenn ihre Motivation nicht ausschließlich „die Revolte gegen Unfreiheit“ ist: Wenn da keine „Unfreiheit“ mehr ist, wäre ein solcher Roman zb. ziemlich redundant, die Katze bisse sich in den Schwanz….
Die nach 1968 geborene Generation hatte also das Problem, nicht mehr revoltieren zu können, weil die Freiheit schon errungen war.
Mich erinnert das an den alten Bilderwitz: Zwei Alt-Punks sitzen an der Theke und saufen. Kommt ein Junger herein, in Anzug und Krawatte, mit Seitenscheitel. Der Junge zum Alt-Punk: „Hi, Papa!“ Fragt der andere Alt-Punk: „Was ist denn mit deinem Sohn los?“ Sagt der eine Alt-Punk: „Der revoltiert gerade!“
Aber hat Freiheit denn eine Begrenzung? Ist Freiheit nicht irgendwie etwas Unendliches? Ja; die innere Freiheit ist, bin ich sicher, unendlich. Die äußere Freiheit bildet aber hierzu nur den Rahmen: Dass alles erlaubt ist, was einem anderen keinen Schaden zufügt. Jeder funktionierende Rechtsstaat sollte diesen Rahmen ermöglichen und über ihn wachen. Das Ausmaß der inneren Freiheit aber liegt bei jedermann selbst.
Da das Zeitalter der Abklärung aber innen und außen verwechselt, verwechselt es logischerweise auch innere und äußere Freiheit. Durch die Introspektion gelangt man zwangsläufig irgendwann zum Geist; dieser aber wird von der Abklärung verleugnet. Wenn aber „Geist“ nicht mehr sein soll als die Synapsentätigkeit des Gehirns, wenn die höchsten Dinge wie das Gute an sich, die Liebe, die Moral etc, zu biologischen Wechselwirkungen degradiert werden, so werden sie ignoriert und schließlich abgeschafft.
Da sich aber die innere Freiheit um eben diese höchsten Dinge dreht, musste sich die Suche nach ihr zwangsläufig nach außen stülpen: Man sucht die innere Freiheit in der Politik, in der Gesellschaft, im Konsum, kurz: dort, wo sie nicht zu finden ist.
5. Die manichäische Linse
Wir haben ganz Ähnliches schon bei den Tugenden der Abklärung gesehen: Nur die Tugend der Toleranz ist verblieben, gerade, weil diese eine komplett äußere und äußerliche Tugend darstellt (siehe dieser Blog, weiter unten). Mit dieser versucht die Abklärung nun vergeblich, das vakuumierte Innenleben zu füllen.
Ebenso versucht das Zeitalter der Abklärung, die Freiheit zu verinnerlichen, in dem sie sich vergeblich der äußeren Freiheit weiter annähert, als dies möglich ist.
Ich möchte das mit einem kleinen metaphorischen Ansatz beschreiben.
Man stelle sich vor, man liest ein Buch (am besten eines über Freiheit!). Wenn man nun das Buch in zwei Metern Entfernung hält, wird man es nicht lesen können; da sieht man die Buchstaben zu klein. Wenn man das Buch aber unmittelbar vor der Nase hält, kann man es auch nicht lesen: Da werden die Buchstaben unscharf! Nur in der angemessenen Entfernung kann man das Buch tatsächlich lesen.
Ebenso, scheint mir, ist es mit der äußeren Freiheit: Das Zeitalter der Abklärung sieht sie nur noch unscharf! Und die innere Freiheit ist ohnehin abgeschafft. (Oder sagen wir so: sie hat keinen offiziellen Stellenwert mehr. Aber freilich wird es immer Menschen geben, die über ihrem Zeitalter stehen.)
In dem Versuch, die äußere Freiheit zur inneren zu machen, ist ihnen auch noch erstere unscharf geworden, weil man sie durch die falsche „Linse“ fokussiert!
Und so therapiert man die Freiheit nun ähnlich, wie man das mit der Toleranz gemacht hat. Die Therapien überschneiden sich zuweilen: Man sucht Schlagwörter, Floskeln, plakative Themen und natürlich Feindbilder. Natürlich geht es der Abklärung darum, wieder ein „scharfes Bild“ zu generieren, aber eben nicht, indem man eine geeignete „Lese“-Distanz sucht.
Sondern, indem man in und durch dieses unscharfe, diffuse, verwirrende Nebelgebilde willkürliche Grenzen zieht. Da aber die Abklärung diesbezüglich so blind ist wie ein 20-Dioptrien-Patient, dem man die Brille versteckt hat, sucht sie nach fixen Anhaltspunkten, was Freiheit auf keinen Fall ist. Abgesehen davon, werden die Linien praktisch blind gezogen.
Zwei dieser beliebten Anhaltspunkte sind „links“ und „rechts„. Da wird zwischen der rechten und der linken Seite dieses unscharfen Gebildes Faden gespannt, und alles, was auf der jeweils anderen Seite des Fadens ist, ist „böse„, also unfrei. Nachdem die äußere Freiheit unscharf geworden ist, sind weitere Differenzierungen unmöglich. Wenn man sich einer Sache nicht sicher ist, so sucht man so lange nach „linken“ oder „rechten“ Anhaltspunkten, bis man sie diesseits oder jenseits des Fadens einordnen kann. So werden nun alle Dinge als „ganz für die Freiheit“ oder ganz unfrei, als ganz schwarz oder ganz weiß, als ganz böse oder ganz unschuldig eingestuft.
Moralische Unsicherheit neigt immer zur Radikalität. Und daher hat der unscharfe Blick auf die äußere Freiheit (von der inneren reden wir noch gar nicht) einen Manichäismus ausgelöst: Eine moralische schwarz-weiß-Malerei. Der Manichäismus ist jene bipolare Störung der Moralität, an der das Zeitalter der Abklärung leidet.
Die Sicht des Zeitalters der Abklärung auf die Freiheit ist eine Sicht durch die manichäische Linse, die zugleich verunschärft und polarisiert, die einen undifferenzierten Graugatsch produziert, diesen Graugatsch aber unbedingt unter entweder „schwarz“ oder „weiss“ einordnen will. („Buntheit“ würde ich in dieser Metapher ohnehin nur der inneren Freiheit zuschreiben….)
Ein Beispiel: Dass die „Freiheit“ des Geldflusses, des Warenverkehrs, der Finanztransaktionen tatsächliche Freiheit sei: Auf eine solche Idee kann natürlich nur eine Zeit kommen, der es an innerer Freiheit mangelt. Eine „Freiheit“, die die tatsächliche Freiheit zerstört. Aber dies läßt sich bei jener paradoxalen Verwechslung von innen und außen nicht erkennen.
Ein anderes Beispiel: In den frühen 90er Jahren waren die „Grünen“ gegen den Beitritt Österreichs zur EU. Aus guten Gründen, u.a. den im obigen Beispiel genannten. Sie befürchteten zurecht den Turbokapitalismus. Im Übrigen war auch die FPÖ dagegen, aber aus anderen Gründen.
Heute sind die Grünen für die EU. Und zwar total. Warum? Zwar mögen auch die Grünen den Kapitalismus nicht, aber noch weniger mögen sie den Nationalsozialismus. Nachdem aber das Wort „National“ im Wort „Nationalsozialismus“ enthalten ist, so muss alles, was „national“ ist, auch sehr böse sein. Man wird zb. nie einen Grünen sehen, der Wiener Schnitzel als „österreichisches Nationalgericht“ bezeichnen würde. Da müsste er sogleich speiben, wenn er in der luftig-knusprigen Panier den Stacheldraht der Konzentrationslager mit essen müsste!
Die EU löst den Nationalismus auf, sie ist also, im Blick durch die manichäische Linse, gut und also die Freiheit.
Und dann ist auch noch die FPÖ gegen die EU! Mehr Bestätigung braucht ein grüner social justice fighter nicht, um absolut, total, 100%ig FÜR die EU zu sein. Er wird den kapitalistischen Irrsinn, der im europäischen Filz wuchert, kommentarlos schlucken. Mehr noch, er wird jeden, der an die ursprünglichen Gründe, warum die Grünen dereinst EU-kritisch waren, sofort niederbrüllen und als „Nazi“ bezeichnen.
In diesen beiden Beispielen sehen wir ein sehr fortgeschrittenes Stadium jener manichäisch-bipolaren Störung, deren eigentlicher Grund der Materialismus ist.
6. Im Narthex (zwischen innen und außen)
Freilich sind EU, offene Grenzen und dergleichen nur ein sehr unzureichendes Surrogat für tatsächliche, innere Freiheit, also musste noch ein saftiges Feinbild her, an der man „Freiheit“ per negationem festmachen kann, und das ist die Kirche.
Wenn aber die Kirche (wir folgen wieder der manichäischen Logik) böse und unfrei ist, dann muss auch Glaube böse und unfrei sein. Was unfrei ist, ist freilich auch unvernünftig, und nachdem sich die Abklärung für vernünftig und wissenschaftlich hält, ist der Glaube dann auch unwissenschaftlich.
Bitte das richtig zu verstehen: Die Fehlentwicklungen innerhalb der Kirche sind nicht zu leugnen. Siehe mein Kapitel „Hirtenbrief„. Ich bin der festen Überzeugung, dass sowohl die pädophilen Missbrauchsfälle, als auch deren Vertuschung nur ein äußeres Symptom einer tiefer liegenden Fehlentwicklung sind. Ebenso die diplomatischen salbungsvollen Reden vieler Kirchenvertreter, die so oft substanzlos sind. „Nur nichts falsches sagen!“ scheint da das Motto zu sein, oder: „bevor ich etwas sage, das irgend jemanden aufregen könnte, sage ich lieber gar nichts.“ So eine Einstellung erzeugt natürlich Verspannung.
Man kann es aber nicht immer allen recht machen.
Oft kommt der Ratschlag: „Die Kirche soll sich den modernen Zeiten öffnen.“ Aber was soll dieses Moderne sein? Etwa die Abklärung? Der Manichäismus? Die Hysterie? Die intellektuelle Erstarrung? Das sind doch genau jene Eigenschaften, die man der Kirche vorwirft! Soll sie diese Eigenschaften jetzt erst recht übernehmen?
Hat es Humor, Tiefsinn Intellektualität und vor allem Mystik nicht schon in früheren Zeiten gegeben? Man lese Meister Eckehart!
Das Problem der Kirche ist, dass sie sich in den falschen Dingen der „Moderne“ angepasst hat. Was die Kirche braucht, sind mystische Begabungen. Menschen, die über die Schichteungen des Geistes Bescheid wissen, und trotzdem nächtelang durch-lachen können. Übrigens ist das kein Widerspruch, sondern eine Wechselwirkung.
Aber das wäre dann Stoff für einen eigenen Beitrag.
Schwachsinnig, oder eben Resultat oben genannter Sehschwäche, ist es aber, aufgrund von Fehlern der Kirche gleich auch den Glauben abzuschaffen!
Die Abklärung hat, auf der -sehr legitimen- Suche nach Freiheit, den bequemen Weg gewählt. Anstelle sich dem Spannungsraum zwischen Geistigkeit als dem Ort innerer Freiheit einerseits und weltlicher Freiheit andererseits zu stellen, hat sie sich auf das bloß Weltliche, das bloß Äußerliche fokussiert. Das Ergebnis ist bekannt.
Irgendwann wird sich das Zeitalter der Abklärung von selber verobsoletieren, es wird als ein ähnlich tumbes Zeitalter in die Geschichte eingehen wie die Vorbarocke, wie die Zeit des 30jährigen Krieges. In seiner Anti-Spiritualtät, in der Schwäche seiner Kunst, in der Primitivität seiner Helden sind sich die Zeiten sehr ähnlich.
Aber deswegen muss man es ja nicht unkommentiert lassen! Und wie könnte man diese Zeit weiter entwickeln? Bleiben wir bei der Metapher der Linse und des Auges: Wenn eine Linse ein unscharfes Bild wirft, so befindet sich der Brennpunkt nicht auf der Netzhaut. Sagen wir, der Brennpunkt befinde sich dahinter. Wenn wir die Entfernung zur äußeren Freiheit nicht vergrößern wollen, dann müssen wir den Brennpunkt finden, wo unser Bild wieder scharf wird.
Wir müssen sozusagen ein neues, tieferes Auge entwickeln, das diesen Brennpunkt einfängt. Ein mystisches Sinnesorgan. Besser gesagt: Wir müssen es nicht entwickeln. Es ist schon da.
Wir müssen nur die Augen aufmachen.